Was macht Erfolg im Tourismus aus? Neben dem reinen Wachstum rücken verstärkt weitere Aspekte in den Fokus. Um diese greifbar zu machen, bedarf es neuer Kennzahlen, denen wir in der aktuellen Ausgabe von Am.Puls. auf den Grund gegangen sind.
Was macht Erfolg im Tourismus aus? Neben dem reinen Wachstum rücken verstärkt weitere Aspekte in den Fokus. Um diese greifbar zu machen, bedarf es neuer Kennzahlen, denen wir in der aktuellen Ausgabe von Am.Puls. auf den Grund gegangen sind.
Wer wissen wollte, wie es um dem Tourismus in Hessen steht, schaute in der Vergangenheit in erster Linie auf die Gäste – und Übernachtungszahlen des Statistischen Landesamtes Hessen. „Das Augenmerk lag lange Zeit darauf, bei diesen Werten ein kontinuierliches Wachstum zu verzeichnen“, erläutert Fabian Wolf, Projektmanager Marktforschung und Analyse bei Hessen Tourismus. Je mehr Übernachtungen, desto florierender der Tourismus. Doch das Motto des „Höher, schneller, weiter“ wird zunehmend infrage gestellt. „Es gab schon länger kritische Stimmen, die angezweifelt haben, ob diese Art des Wachstumsgedankens noch sinnhaft ist“, berichtet Wolf. „Durch die Coronapandemie wurde diese Diskussion noch einmal beschleunigt. Natürlich sind die Übernachtungszahlen in vielen Bereichen nach wie vor wichtig, da sie einen großen Teil der Nachfrage im Übernachtungssegment abdecken und teilweise als Basis für die anteilige Finanzierung von touristischen Organisationen dienen. Es rücken aber vermehrt andere gesellschaftliche Entwicklungen in den Vordergrund, die beeinflussen, wie Tourismus wahrgenommen und bewertet wird.“
Das beobachtet auch Anne -Sophie Krause vom Deutschen Tourismusverband e.V. (DTV), in dem seit diesem Jahr auch die HA Hessen Agentur GmbH durch eine gemeinsame Mitgliedschaft mit dem Hessischen Tourismusverband als ordentliches Mitglied vertreten ist. Als Bereichsleiterin der DTV Service GmbH verantwortet Krause das wirtschaftliche Geschehen des Verbands, insbesondere dessen Qualitätsinitiativen sowie Weiterbildungsveranstaltungen. Zudem betreut Krause einen Teil der Facharbeit im DTV und koordiniert die AG Zukunftsentwicklung, die 2020 ins Leben gerufen wurde. „Die AG ist in dieser Form noch relativ neu für die Facharbeit“, erläutert Krause. „Die zentrale Frage für uns lautet: Was ändert sich im Tourismus in Deutschland, vor allem für unsere Destinationen? Unsere Mitglieder befragen wir jedes Jahr erneut zu den dringendsten Themen. Mit einem häufig genannten Aspekt beschäftigen wir uns daraufhin weiter im Detail. Sowohl Wolf als auch Krause sehen vor allem drei große Treiber des Wandels im Tourismus: Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel und Tourismusakzeptanz.
Insbesondere die Tourismusakzeptanz ist ein großes Thema, das verstärkt in den Fokus rückt. „Tourismus muss im Ein klang mit der Wohnbevölkerung stehen“, erläutert Wolf. „Es handelt sich schließlich um eine soziale Branche. Vieles wird für die Gäste über Kontakte mit Einheimischen erlebbar. Das ist auch im Hinblick auf das Thema Marke entscheidend, denn sie kann nur funktionieren, wenn sie bei den Gästen spürbar ankommt.“ Gerade für die Zielgruppe der Postmateriellen, die ein authentisches Erlebnis suchen, sei dies nicht zu unterschätzen. Wenn Einheimische dem Tourismus positiv gegenüberstehen, zahlt das schließlich auch auf die Gästezufriedenheit ein. Doch nicht nur mit Blick auf die Gästezufriedenheit spielt die Tourismusakzeptanz eine entscheidende Rolle. „Der Tourismus ist eine Querschnittsbranche und findet nicht nur für Gäste statt“, bekräftigt Yvonne Heider, Geschäftsführerin der TMH Tourismus Management Hessen UG und Stellvertretende Vorsitzende der AG Zukunftsentwicklung des DTV. „Tourismus beeinflusst die Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung, zumal er Infrastruktur schafft, die auch Einheimischen zur Verfügung steht. Der lokal ansässigen Bevölkerung ist häufig gar nicht bewusst, dass sich manche Freizeit oder Gastronomieangebote ohne Touristen gar nicht halten könnten.“
Die Notwendigkeit, die Bevölkerung mit ins Boot zu holen, sieht man auch beim DTV. „Es kam immerhin schon vor, dass Einheimische touristische Projekte in Bürgerbefragungen abgelehnt haben“, so Krause. „Darum stellen sich immer mehr Organisationen in der Kommunikation breiter auf und betreiben zusätzlich Innenmarketing, das sich an die Einheimischen richtet.“ Ziel darf somit nicht nur sein, Gäste von außerhalb zu holen und Übernachtungszahlen zu generieren. Vielmehr müsse man auch dafür werben, dass die Bevölkerung partizipiert und die positiven Auswirkungen von Tourismus wahrnimmt.
Zu bedenken sei dabei, dass es keine gradlinige Grenze zwischen Einheimischen und Gästen gebe. „Touristen sind nicht nur Personen, die von außerhalb kommen, sondern auch Einheimische, die einen Tagesausflug machen“, gibt Wolf zu bedenken. „Es darf also nicht nur darum gehen, Besucherinnen und Besucher aus anderen Bundesländern oder dem Ausland nach Hessen zu locken, sondern es sollte auch eine ganzheitliche Betrachtungsweise angestrebt werden.“ Dazu gehört ein weiterer Aspekt: „Die Einheimischen tragen den Tourismus“, so Wolf. „Es ist äußerst relevant, dass diejenigen, die beispielsweise in der Gastronomie arbeiten, dem Tourismus positiv gegenüberstehen.“ Ein angenehmes Arbeitsumfeld sowie eine hohe Lebensqualität in der Region kommen schlussendlich auch der Personalgewinnung zugute. „Über den Personalmangel wird im Tourismus schon seit gut zehn Jahren intensiv gesprochen“, weiß Krause. „Durch die Coronapandemie hat sich die Lage zusätzlich verschärft, und der Wettkampf um Arbeitskräfte ist noch einmal größer geworden.“
Neben den verschiedenen Anspruchsgruppen im Tourismus sollte mittlerweile stets eine weitere zentrale Komponente mitgedacht werden: Es geht um unseren Lebensraum. „Der Tourismus ist durch seine Ausgestaltung auf eine intakte Natur und Umwelt angewiesen, denn nur so kann ein attraktives touristisches Angebot geschaffen werden“, betont Krause. „Ein Tourismus, der nicht auf Natur- und Umweltschutz achtet, beraubt sich seiner eigenen Grundlage.“ Auch im hessischen Tourismus sorgt der Bereich der Nachhaltigkeit für starke Veränderungen und findet sich als übergeordnete Leitlinie im neuen Tourismuspolitischen Handlungsrahmen wieder. „Wir dürfen uns nicht nur an ökonomischen, sondern auch an sozialen und ökologischen Faktoren messen“, betont Heider. „Bei allem, was wir im Tourismus tun, wollen wir uns nachhaltiger aufstellen – für unsere Gäste, aber auch unsere einheimische Bevölkerung.“ Nachhaltigkeit, Personalmangel und Tourismusakzeptanz: Alle Bereiche greifen ineinander. „Für einige Akteure treten vielleicht Überlegungen zu Nachhaltigkeit und Lebensqualität in den Hintergrund, weil sie ganz akut mit Personalmangel zu kämpfen haben“, berichtet Krause. „Dann versuchen wir zu vermitteln, dass wir mit den anderen beiden Punkten eben auch darauf einzahlen.“
Es gilt somit neben den Gästen auch den Ansprüchen der einheimischen Bevölkerung, des Personals und der Natur gerecht zu werden. Inwiefern der Tourismus dies bereits leistet und welche Entwicklungen nötig wären, um auch hierbei erfolgreich zu sein – das lässt sich aus den Übernachtungszahlen nicht ableiten. Es bedarf also neuer Kennzahlen.
Doch wie können abstrakte Konzepte wie Tourismusakzeptanz und Nachhaltigkeit erfasst und gemessen werden? Mit Ersterem beschäftigte sich die AG Zukunftsentwicklung des DTV bereits intensiv, finanziell unterstützt durch das Förderprogramm „LIFT Wissen“ des Bundeswirtschaftsministeriums. „Gemeinsam mit der FH Westküste haben wir durch das Programm mehr Wissen im Bereich Tourismusakzeptanz generieren können“, freut sich Krause. „Dadurch konnten wir Maßnahmen erarbeiten, wie die Tourismusakzeptanz gefördert werden kann, zu dem Thema einen Leitfaden erstellen sowie eine große digitale Veranstaltung zur Wissensvermittlung umsetzen.“
Als Nächstes steht das Förderprogramm „LIFT Transformation“ in den Startlöchern. „Das Programm zielt darauf ab, die Tourismuswirtschaft zukunftsfähig aufzustellen, indem die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen stärker berücksichtigt werden“, erläutert Krause. „Dazu sollen Maßnahmen entwickelt und gefördert werden, mit denen der Tourismus den sogenannten SDGs gerecht wird.“ Der Fokus liegt dabei auf den fünf SDGs „Verantwortungsvoll konsumieren und produzieren“, „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“, „Handeln für den Klimaschutz“, „Leben an Land“ und „Qualität in der Bildung“.
Gerade beim Thema Nachhaltigkeit sei es entscheidend, diese durch Zahlen greifbar zu machen. Nur so ist es möglich zu ermitteln, wo man aktuell steht, und Handlungsbedarf zu identifizieren. „Auch Investitionsentscheidungen werden zukünftig immer stärker von einer nachhaltigen Ausrichtung abhängig sein, sei es durch Förderprogramme, sei es durch Auflagen, die für Banken bestehen, sodass gar nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden können, wenn nicht nachhaltig gewirtschaftet wird“, gibt Krause zu bedenken.
Der Bedeutung von Kennzahlen für Nachhaltigkeitsprozesse kann sich Wolf nur anschließen. „Wir sind in Hessen auf dem Weg zum nachhaltigen Reiseziel“, so der Marktforscher. „Dafür braucht man Kennzahlen, an denen man sich orientiert. Auch für die Zertifizierung durch TourCert müssen die Destinationen eine Vielzahl von Kennzahlen bereitstellen.“ Diese fallen umfangreich aus, wie Heider ergänzt: „Es fließt eine große Bandbreite an Themen in die Bewertung mit ein, zum Beispiel fängt es innerhalb der Organisation mit der Erfassung des Verbrauchs von Abfall, Papier und Strom an, Kennzahlen zur Quantität und Qualität von Beschäftigung oder die Mitarbeitenden-Zufriedenheit. Da es sich um eine Destinationszertifizierung handelt, werden auch flächenweite Kennzahlen benötigt, die beispielsweise folgende Bereiche abdecken: Barrierefreiheit, nachhaltige Leistungsträger, nachhaltige Angebotsgestaltung, Schutz von Natur und Landschaft oder Kennzahlen zur wirtschaftlichen Stabilität. Zudem müssen die Destinationen Partnerbetriebe für eine erfolgreiche Zertifizierung akquirieren. Dafür benötigen die Destinationen die entsprechenden Daten, um ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen zu belegen. Diesen Zertifizierungsprozess begleiten wir als THM und bieten umfangreiche Unterstützung, aber die Hauptaufgabe und das erfolgreiche Ergebnis liegen bei den Destinationen.“
Doch nicht nur Kennzahlen zur Nachhaltigkeit sollen in Hessen verstärkt in die Arbeit einfließen. „Wir richten mittlerweile unser Handeln stark nach statistischen Grundlagen aus. Im Hinblick auf den Wandel im Tourismus liegt ein klarer Fokus darauf, die Entwicklungen in neuen Kennzahlen zu fassen“, betont Heider. „Hessen Tourismus hat in den vergangenen zwei Jahren Daten für Hessen erhoben, die es bis vor Kurzem in der Form noch gar nicht gab, zum Beispiel zu der Tourismusakzeptanz oder dem Tourismusbewusstsein.“
Die neuen Kennzahlen sollen aber kein Selbstzweck sein. „Touristische Marktforschungsdaten unterstützen bei jeglicher Art der Entscheidungsfindung“, weiß Wolf. Sie liefern wertvolle Erkenntnisse über die Bedarfe der am Tourismus beteiligten Akteure – also Gäste, Einheimische und Beschäftigte – und helfen dabei, für sie passende Maßnahmen zu entwickeln.
Ob Angebotsentwicklung, Marketing, Kommunikation oder Management – touristische Akteure erhalten mit den Daten aus der Marktforschung eine wertvolle Entscheidungsgrundlage für ihr Handeln. In Hessen steht dazu unterstützend der Performance-Hub bereit.
„Der Performance-Hub ist ein Modul des Tourismus-Hub Hessen, mit dem wir Marktforschungsdaten benutzerfreundlich aufbereiten und visualisieren“, erklärt Wolf. Aktuell bietet der Performance-Hub Daten zu zehn Themenfeldern, zum Beispiel Informationen zu Tagestouristen, Geschäftsreisen, Tourismusakzeptanz, Markenimage, Tourismus als Wirtschaftsfaktor, Gästeherkunft und Bewegungsdaten. „Die Daten werden selbstverständlich aktuell gehalten. Wir behalten immer Bedürfnisstand und Fragestellungen unserer Partnerinnen und Partner im Auge, sodass wir die wichtigsten Daten zur Verfügung stellen können.“
Der Anspruch ist es, mit dem Performance-Hub die touristischen Akteure in Hessen zu befähigen, datenbasierte Entscheidungen treffen zu können. Denn, wie Krause vom DTV betont: „Mit den richtigen Daten können wir zielgerichtet aktiv werden – und so gemeinsam den Tourismus voranbringen.“
AM.PULS ZU BESUCH AUF DEM FELDBERG
Im Taunus helfen Daten bereits bei der Entscheidungsfindung und
der Angebotsentwicklung. Wie auf Grundlage von Bewegungsdaten
ein hochwertiges Angebot auf dem Großen Feldberg geschaffen
wurde, zeigt die neue Vlog-Folge.
Hinweis: Bei dem Beitrag handelt es sich um einen Artikel aus unserem Brachenmagazin AM.PULS. Mit AM.PULS. hat Hessen Tourismus ein hybrides Format für aktuelle B2B-Themen entwickelt, das ein Printmagazin mit einem Video-Blog – kurz Vlog – verbindet.